Neue Ökonomie

Neue Ökonomie
Neue Ökonomie,
 
New Economy [njuː ɪ'kɔnəmɪ; englisch], durch Erzeugung, Verarbeitung und Verbreitung von Information geprägte Wirtschaft. Im Gegensatz zur »alten« beziehungsweise »klassischen« Ökonomie, in der v. a. materielle Industriegüter produziert werden, sind die Güter der Neuen Ökonomie überwiegend immaterieller Natur. Physische Arbeitsprozesse und Absatzkanäle werden weitgehend von digitalen Prozessen überlagert, das Internet wird zu einem zentralen Transportmittel von Informationen und damit zu einem Motor globaler Vernetzung. In der Regel synonym gebraucht werden die Begriffe Informationsökonomie, wissensbasierte Ökonomie, virtuelle Ökonomie oder schwerelose Ökonomie. Die Kategorien Neue und alte Ökonomie sind als Idealtypen zu verstehen, die in der Realität nicht isoliert analysiert werden können, da in hoch entwickelten Volkswirtschaften materielle und immaterielle Wirtschaftsgüter untrennbar miteinander verwoben sind.
 
In der Wirtschaftswissenschaft wird der Beginn des Übergangs von der klassischen zur Neuen Ökonomie etwa auf die Mitte der 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts datiert. Insbesondere in den USA kam es in diesem Zeitraum im Vergleich zu früheren Jahrzehnten zu einer Verdoppelung der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten und des Anstiegs der Arbeitsproduktivität (preisbereinigtes Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen), die von vielen Beobachtern auf Produktivitätsfortschritte bei der Herstellung und dem Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK-Technologien) zurückgeführt wurde. Diese Entwicklung führte zu einer regelrechten Euphorie an den Aktienmärkten, wobei v. a. die am Neuen Markt (NASDAQ) gehandelten Technologiewerte anfänglich weltweit kräftige Kursanstiege verzeichneten. Weder der Wachstumsschub in den Vereinigten Staaten noch der Kursanstieg am Neuen Markt erwiesen sich jedoch als dauerhaft. Heute werden die Wachstums- und Produktivitätspotenziale der Neuen Ökonomie erheblich nüchterner eingeschätzt. Dennoch herrscht die Meinung vor, dass sie sich stimulierend auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum auswirken wird, wobei es allerdings eher um die mittel- bis längerfristige als um die kurzfristige Wirtschaftsentwicklung geht.
 
 Triebkräfte
 
Vorangetrieben wird die Neue Ökonomie v. a. durch technologische Fortschritte in der Mikroelektronik und in den darauf aufbauenden modernen IuK-Technologien sowie durch die immer stärkere Verbreitung elektronischer Medien. Theoretisch eröffnet sich damit für jedermann der Zugang zu nahezu jeder Art von Information in nahezu unbegrenzter Geschwindigkeit von jedem Ort der Erde aus und zu jeder Zeit. Damit haben Informationen prinzipiell ihren bis dahin exklusiven Charakter verloren und sind zu einem preiswerten, reichlich verfügbaren Wirtschaftsgut geworden. Logische Folge dieser veränderten Knappheiten ist die immer intensivere Nutzung von Informationen in allen Bereichen der Wirtschaft. Die Anfänge der Mikroelektronik liegen zwar zeitlich weit vor dem Aufbruch in die Neue Ökonomie (erster Transistor im Jahre 1948; erster integrierter Schaltkreis 1970), aber erst in jüngerer Zeit diffundiert die Mikroelektronik umfassend in vielfältige Anwendungen. Der prägende Einfluss, den diese Technologien auf den wirtschaftlichen Strukturwandel ausüben, basiert v. a. auf ihrem Querschnittscharakter, d. h. auf der immensen Breite ihrer Einsatzmöglichkeiten. Es gibt kaum noch einen Wirtschaftszweig, der ohne mikroelektronische Komponenten oder ohne rechnergestützte Information und Kommunikation auskommt. Und das Potenzial scheint - wie die stürmische Entwicklung des seit Anfang der 70er-Jahre zunächst ausschließlich in Wissenschaft und Militärtechnik genutzten und heute fast alle Bereiche von Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft und Politik durchdringenden Internets zeigt - noch längst nicht ausgeschöpft zu sein. In Zukunft könnte auch die Biotechnologie zur Querschnittstechnologie mit weit über Branchengrenzen hinausreichendem Einsatzspektrum heranreifen. Viele industrielle Produktionsprozesse können prinzipiell auf biotechnologische Verfahren umgestellt werden, und viele neue Produkte sind vorstellbar, die derzeit noch nicht einmal im Labor existieren. Auf längere Sicht wird der Strukturwandel zur Neuen Ökonomie damit v. a. von zwei Basisinnovationen vorangetrieben, die im historischen Vergleich gesehen durchaus die Chance bieten könnten, einen kräftigen, lang anhaltenden Wachstums- und Produktivitätsschub auszulösen.
 
Eine vergleichbare Entwicklung vollzog sich vor rd. 200 Jahren, als knappe und teure Energie aus menschlicher und tierischer Muskelkraft ersetzt wurde durch fossile Energie, die aus Kohle gewonnen und mit Hilfe der Dampfmaschine in mechanische Energie umgewandelt werden konnte. Im Gefolge dieses technologischen Wandels nahm die Energieintensität der Produktion schubartig zu. Alte Wirtschaftszweige wandelten ihr Gesicht, neue kamen hinzu, und die industrielle Revolution brach sich Bahn. Es erscheint keineswegs ausgeschlossen, dass die Weltwirtschaft gegenwärtig in einer ähnlichen Umbruchphase steht wie sie die (aus heutiger Sicht alten) Industrieländer vor zwei Jahrhunderten durchlaufen haben. Im Zuge dieser Entwicklung ändern sich auch die relativen Knappheiten von Produktionsfaktoren: In der Agrargesellschaft war Boden der knappe und Arbeit der reichliche Faktor. Mit dem Übergang zur Industriegesellschaft verlor Boden seine zentrale Bedeutung; Sachkapital wurde zum neuen knappen Faktor, der mit dem reichlich gewordenen Faktor Energie kombiniert wurde. Entsprechend verlagerte sich wirtschaftliches Reichtum von den Großgrundbesitzern zu den »Schlotbaronen«. In der Neuen Ökonomie ist Information der reichliche Faktor. Als entscheidender knapper Faktor dürfte sich das Humankapital erweisen. d. h. die nicht beliebig vermehrbare Fähigkeit, Information in Wissen zu verwandeln. Sachkapital dagegen verliert an Bedeutung, ohne allerdings völlig zu verschwinden. So wie die Industriegesellschaft nicht ohne den Faktor Boden auskam, so wird auch in der Neuen Ökonomie weiterhin Sachkapital benötigt - aber seine relative Bedeutung geht zurück. Ob sich damit auch der wirtschaftliche Reichtum von den Sachkapital- zu den Humankapitaleignern (hoch qualifizierten Arbeitskräften) verlagern wird, ist offen.
 
 Messprobleme in der Wirtschaftsstatistik
 
Der Übergang zur Neuen Ökonomie hat eine intensive wirtschaftswissenschaftliche Debatte darüber ausgelöst, ob die herkömmlichen statistischen Verfahren zur Preisbereinigung des gesamtwirtschaftlichen Wachstums noch adäquat sind. Zur Erläuterung: Das Wachstum des nominalen (nicht inflationsbereinigten) Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist recht zuverlässig messbar. Um zu ermitteln, wie sich das reale (inflationsbereinigte) BIP entwickelt hat, müssen die Zuwachsraten der nominalen Wertschöpfung aufgespalten werden in eine Preis- und eine Mengenkomponente. Dabei sind Mengenänderungen nicht an reinen Stückzahlen ablesbar, auch Qualitätsverbesserungen sind der realen Wertschöpfungssteigerung zuzurechnen. Diese Qualitätsverbesserungen sind aber gerade bei informationsintensiven Wirtschaftsgütern statistisch nur schwer erfassbar. Wenn nun Qualitätssteigerungen von der Statistik fälschlicherweise als Preissteigerungen interpretiert werden, wird der Zuwachs der realen Wertschöpfung unterzeichnet und das gesamtwirtschaftliche reale Wirtschaftswachstum wird geringer ausgewiesen als es tatsächlich ist. Bei der Verbesserung der Inflationsmessung spielen die USA eine Vorreiterrolle. Dort werden seit den frühen 1990er-Jahren verbesserte Verfahren der Inflationsmessung (hedonische Preisschätzungen) verwendet, die es erlauben, die Preis- und Mengeneffekte bei informationsintensiven Gütern besser zu erfassen. Als Ergebnis der Revisionen in der Inflationsmessung wird das reale gesamtwirtschaftliche Wachstum in den USA um rd. einen Prozentpunkt höher ausgewiesen, als es bei einem Festhalten an herkömmlichen Preisbereinigungsverfahren der Fall gewesen wäre. Es kann vermutet werden, dass die amtliche Statistik in Deutschland, die nach wie vor auf herkömmliche Methoden der Inflationsmessung setzt, das reale gesamtwirtschaftliche Wirtschaftswachstum um so stärker unterschätzt, je mehr die Neuen Ökonomie an Bedeutung gewinnt.
 
 Sektoraler und sektorübergreifender Strukturwandel
 
Der Übergang zur Neuen Ökonomie ist mit einem sektoralen Strukturwandel verbunden, wobei jene Branchen an Boden gewinnen, die sich die neuen IuK-Technologien besonders intensiv zunutze machen. Für die Vereinigten Staaten haben Dale W. Jorgenson von der Harvard University in Cambridge (Massachusetts) u. a. Autoren nachgewiesen, dass die Beschleunigung des Produktivitätsfortschritts seit Mitte der 90er-Jahre zu einem beträchtlichen Teil auf technologische Fortschritte bei der Herstellung sowie beim Einsatz moderner IuK-Geräte zurückgeführt werden kann. Entsprechende Berechnungen sind für Deutschland nicht möglich, da es hier an den statistischen Grundlagen fehlt. Immerhin lässt sich jedoch zeigen, dass jene Branchen, in denen moderne IuK-Technologien besonders intensiv genutzt werden, im Strukturwandel an Boden gewonnen haben. Von den sieben in der Tabelle ausgewiesenen Wirtschaftsbereichen konnten fünf ihren Anteil am BIP ausbauen, d. h., sie trugen prozentual stärker als andere Branchen zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum bei. Dabei fällt ins Auge, dass die vier letztgenannten, dem Dienstleistungssektor zuzurechnenden Branchen zu den Gewinnern im sektoralen Strukturwandel zählen, während das Bild bei den drei erstgenannten Branchen, die zum industriellen Sektor zählen, eher differenziert ausfällt. Der Strukturwandel von der alten zur Neuen Ökonomie vollzieht sich offenkundig vor dem Hintergrund des bereits seit Jahrzehnten andauernden Übergangsprozesses von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und ist selbst zu einem wesentlichen Bestandteil dieses Prozesses geworden. Informationsintensive Industriebereiche weisen deshalb in der Regel niedrigere Wachstumsperspektiven auf als informationsintensive Dienstleistungsbereiche. Noch deutlicher werden die Unterschiede zwischen informationsintensiven Industrie- und informationsintensiven Dienstleistungsbranchen in der Beschäftigungsentwicklung. Hier mussten sämtliche Industriebranchen zwischen 1993 und 2000 Anteilsverluste hinnehmen, während drei der vier Dienstleistungsbranchen Anteilsgewinne verzeichnen konnten. Bei der Telekommunikation dominierten innerhalb des Beobachtungszeitraums noch die kräftigen Rationalisierungen, die von der Aufhebung des Fernmeldemonopols und der Privatisierung der Deutschen Telekom AG in den späten 90er-Jahren ausgelöst wurden. Doch auf längere Sicht dürfte auch dieser Wirtschaftsbereich seinen Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigung wieder ausbauen können.
 
Wer die Neue Ökonomie jedoch als rein sektorspezifisches Phänomen interpretiert, greift entschieden zu kurz. Auch in den traditionellen Wirtschaftsbereichen stellen Informationsgüter einen immer wichtigeren Inputfaktor dar, und der Informationsgehalt der Endprodukte steigt. Manuelle Tätigkeiten und physische Inputfaktoren verlieren durchweg an Bedeutung, während immaterielle Faktoren wichtiger werden. So sind in der Tabelle unter der Rubrik »Datenverarbeitung und Datenbanken« nur jene Unternehmen eingeordnet, die ihren Umsatzschwerpunkt in diesem Bereich haben, während die entsprechenden Aktivitäten anderer Unternehmen statistisch nicht gesondert erfasst werden. Auch die Bedeutung von Forschung und Entwicklung reicht natürlich für die Wirtschaft insgesamt weit über die in der Tabelle abgebildeten Aktivitäten hinaus. Sowohl in so genannten alten als auch in neu entstehenden Branchen wird Information zu einem immer wichtigeren Wirtschaftsfaktor. Beim Übergang zur Neuen Ökonomie geht es also nicht primär darum, dass alte von neuen Branchen verdrängt werden, vielmehr steht die Verdrängung traditioneller durch informationsintensive Produkte, die zwar in verschiedenen Branchen unterschiedlich stark ausgeprägt sein mag, aber letztlich alle Bereiche der Wirtschaft erfasst, im Vordergrund. Im Zuge dieses sektorübergreifenden Strukturwandels kommt es zu tief greifenden Umbrüchen in der Wirtschaft, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, von einer Ablösung des traditionellen Paradigmas der Industriegesellschaft zu sprechen.
 
 Neue Wettbewerbsstrategien
 
Der Übergang zur Neuen Ökonomie erfordert von den Unternehmen weitreichende Anpassungen ihrer Wettbewerbsstrategien, und zwar insbesondere auf den derzeit besonders rasch expandierenden Informationsgütermärkten. Die Ursache liegt darin, dass Informationsgüter eine Reihe von Eigenschaften aufweisen, die sie grundlegend von traditionellen Gütern unterscheiden:
 
1) Bei der Produktion von Informationsgütern treten hohe Skalenerträge auf, d. h., die Kosten hängen kaum von den produzierten Stückzahlen ab. Bei Software-Programmen beispielsweise entstehen die Kosten ganz überwiegend in der Entwicklung, während von der fertigen Software beliebig viele Kopien erstellt werden können, ohne dass dafür nennenswerte Zusatzkosten entstehen würden. Große Anbieter mit hohem Marktanteil haben damit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber kleineren Anbietern. Wer sich im Markt durchsetzen will, muss also mit geeigneten Wettbewerbsstrategien darauf abzielen, rasch möglichst hohe Absatzzahlen zu erreichen.
 
2) Bei Informationsgütern ist es ungleich schwerer als bei traditionellen Gütern, zahlungsunwillige Kunden von der Nutzung auszuschließen. Fernsehsender schützen sich zum Teil durch Verschlüsselung ihrer Programme (Pay-TV) vor unberechtigter Nutzung; manche Software-Hersteller versehen ihre Produkte mit einem Kopierschutz. Wo derartige Mechanismen versagen, haben es Anbieter schwer, sich im Markt zu behaupten.
 
3) Viele Kunden legen angesichts der Informationsflut im Internet Wert darauf, die von ihnen gewünschte Information kostenlos zu erhalten; sie würden auf Verschlüsselung oder Kopierschutz mit Abwanderung zur Konkurrenz reagieren. Eine Strategie zur Lösung dieses Problems liegt darin, die angebotene Information mit Werbeeinblendungen zu bündeln, um die Kosten der Informationsbereitstellung über die Werbeeinnahmen zu finanzieren. Eine andere Strategie setzt auf die Bündelung des Informationsguts mit zusätzlichen Serviceleistungen, die den betreffenden Anbieter von der Konkurrenz abheben.
 
4) Durch Bündelung verschiedener Informationsgüter (z. B. Software-Pakete) lassen sich oftmals höhere Preise erzielen als bei einer gesonderten Vermarktung jedes einzelnen Gutes, da auf diese Weise die unterschiedliche Zahlungsbereitschaft verschiedener Konsumentengruppen besser abgeschöpft werden kann. Auch dies verschafft großen Anbietern einen Wettbewerbsvorteil gegenüber kleineren.
 
5) Viele Informationsgüter haben die Eigenschaft von Netzwerkgütern, deren Nutzen für den Konsumenten auch davon abhängt, wie viele andere Konsumenten das gleiche Gut nutzen. Wer etwa vor der Entscheidung steht, ob er sich für ein Textverarbeitungsprogramm mit hoher Qualität, aber geringem Verbreitungsgrad, oder für ein Programm mit niedrigerer Qualität, aber einem hohen Verbreitungsgrad entscheiden soll, wird möglicherweise das letztere kaufen, wenn er seine Textdokumente mit anderen Nutzern austauschen will. Gerade in frühen Marktphasen kann es deshalb lohnend sein, zahlungsunwilligen Nutzern den Zugang zu dem betreffenden Informationsgut nicht zu versperren, um möglichst rasch ein großes Netzwerk von Nutzern aufbauen zu können. Erfolgreich etablierte Netze können sich in späteren Marktphasen als massive Marktzutrittsschranke für neue Anbieter erweisen, auch wenn diese technisch überlegene oder preisgünstigere Produkte anbieten können. In der Ökonomie wird dieses Phänomen als Pfadabhängigkeit bezeichnet.
 
6) Informationsgüter stellen »Erfahrungsgüter« dar, deren Qualität nicht vor dem Kauf inspiziert werden kann. Denn wer die Information vor dem Kauf zur Ansicht erhält, hat sie damit bereits erworben und wird deshalb kaum noch zur Zahlung eines Kaufpreises bereit sein. Käufer von Informationsgütern müssen also den Anbietern ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbringen, da sie sich zur Zahlung verpflichten müssen, bevor sie die zu erwerbende Information kennen. Damit wird der Aufbau einer vertrauenswürdigen Reputation zum ganz entscheidenden Wettbewerbsfaktor in der Neuen Ökonomie.
 
Wie zahlreiche Unternehmenszusammenbrüche auf den Informationsgütermärkten zeigen, scheint die erfolgreiche Umsetzung all dieser Wettbewerbsstrategien in die Praxis erhebliche Schwierigkeiten zu bereiten. Dies könnte einer der Gründe sein, weshalb die anfängliche Euphorie über die Wachstums- und Produktivitätspotenziale der Neuen Ökonomie deutlich abgeklungen ist.
 
 Unternehmensstrukturen im Umbruch
 
Der Strukturwandel von der alten zur Neuen Ökonomie bedeutet nicht nur für die Gütermärkte einen Umbruch, sondern auch für die Organisationsstrukturen der Unternehmen. Dabei ist die Frage, welche Tendenzen sich letztlich durchsetzen werden, nicht leicht zu beantworten. Einerseits bieten die drastisch sinkenden Informations- und Kommunikationskosten kleineren und mittleren Unternehmen die Chance, sich mit anderen Kleinunternehmen sowie Lieferanten und Abnehmern zu vernetzen und auf diese Weise wesentlich flexibler als Großunternehmen auf den Strukturwandel zu reagieren. Hinzu kommt, dass die Sachkapitalanforderungen bei Unternehmensgründungen in der Neuen Ökonomie oftmals deutlich geringer sind als in der alten Ökonomie. Zahlreiche neu gegründete Unternehmen (Start-ups), die über den Neuen Markt den Weg an die Börse und damit zu rascher Expansion gefunden haben, sind dafür ein sichtbares Zeichen. Etablierte Unternehmen nutzen hingegen die neuen IuK-Technologien, um ihre Hierarchien flacher und vernetzter zu gestalten und sich über die Auslagerung (Outsourcing) ehemals selbst erstellter Leistungen stärker auf ihre Kernkompetenz konzentrieren zu können. Andererseits entstehen in der Neuen Ökonomie neue Gründe für Größenvorteile. Einen dieser Gründe stellen die oben erwähnten Skalenerträge und Bündelungsvorteile dar, die großen Anbietern einen Wettbewerbsvorsprung verschaffen. Der wichtigste Größenvorteil dürfte jedoch im Wettbewerbsfaktor Reputation eines Anbieters liegen. Wer es geschafft hat, sich in seinem Markt eine hohe Reputation zu verschaffen, kann diese oftmals auch auf Märkte in anderen Regionen oder auf Märkte für andere Produkte übertragen, ohne dafür die gleichen Fixkosten wie für den Reputationsaufbau aufwenden zu müssen. Diese Argumentation bietet zugleich eine Erklärung dafür, weshalb der Weg in die Neue Ökonomie von einer Welle Megafusionen begleitet ist, durch die sich Unternehmen zu großen und größten Einheiten zusammenschließen. Das typische Unternehmen der Neuen Ökonomie ist also keineswegs kleiner als das der alten Ökonomie, vielmehr werden auch künftig spezialisierte und vernetzte Nischenanbieter neben stark horizontal integrierten Großunternehmen existieren.
 
 Auswirkungen für die Arbeitsmärkte
 
Ein tief greifender Wandel zeichnet sich schließlich für die Arbeitswelt ab. Wenn Unternehmenshierarchien flacher und flexibler werden, ändern sich auch die Anforderungen an die Arbeitskräfte. Zum vernetzten Unternehmen passt der teamfähige Mitarbeiter; zur flachen Hierarchie gehört eigenständiges Arbeiten; zum raschen technologischen und organisatorischen Wandel gehören Flexibilität und lebenslange Lernbereitschaft. Hinzu kommt, dass die modernen IuK-Technologien neue Formen der Arbeitsorganisation ermöglichen, die früher technisch nicht realisierbar gewesen wären. Viele Betriebe haben begonnen, die Möglichkeiten der Telearbeit auszuloten, wobei das Spektrum von isolierter oder alternierender Teleheimarbeit über Außendienstanbindung bis zur unternehmensübergreifenden Telekooperation reicht. Immerhin geben rd. 50 % der Unternehmen in repräsentativen Umfragen an, dass sie Aufgaben in der Daten- und Texterfassung als geeignet für Telearbeit ansehen, während dieser Anteil für Sekretariats- und Buchhaltungsaufgaben bei einem Drittel und für Management- und Forschungsaufgaben immerhin noch bei 10 % bis 20 % liegt. Von daher dürfte sich auch von der rein äußerlichen Gestaltung her die Arbeitswelt von morgen deutlich von der heutigen unterscheiden. In welche Richtung sich die Struktur von Arbeitsverträgen und Entlohnungssystemen in der Neuen Ökonomie entwickeln wird, ist ähnlich schwer abschätzbar wie bei den Unternehmensstrukturen: Einerseits bedeuten Vernetzung und Flexibilität, dass Arbeitsverträge eher für bestimmte Projekte als für längere Zeiträume und eher ergebnisorientiert als auf den Arbeitseinsatz ausgerichtet sein werden. Die typische Vertragsform dafür wäre der Werkvertrag für den freien Mitarbeiter, während in der alten Ökonomie der Dienstvertrag für den unselbständig Beschäftigten dominiert. Andererseits stellt in der Neuen Ökonomie das Humankapital der Mitarbeiter den wichtigsten Vermögenswert von Unternehmen dar, den es zu bewahren und zu pflegen gilt. Hinzu kommt, dass Arbeitsaufwand und -leistungen bei typischen Tätigkeiten in der Neuen Ökonomie nur schwer zu bewerten und zu kontrollieren sind, so dass neue Entlohnungssysteme erforderlich sind, bei denen die Arbeitskräfte am längerfristigen Erfolg des Unternehmens beteiligt werden.
 
Die Arbeitsbeziehungen in der Neuen Ökonomie sind also nicht notwendigerweise instabiler und kurzlebiger als in der alten Ökonomie. Vielmehr ist auch hier - wie bei den Unternehmensstrukturen - mit einem Nebeneinander vielfältiger Organisationsformen zu rechnen. Eine offene Frage ist derzeit auch, wie sich die Qualifikationsanforderungen und die Einkommensverteilung verändern werden. Nach Ansicht mancher Beobachter wird sich eine Polarisierung der Einkommenschancen ergeben, da die wirtschaftlichen Leistungen weniger »Superstars« über elektronische Medien vermarktet und in extrem hohe Einkommen umgemünzt werden könnten, während die Leistungen weniger talentierter beziehungsweise geringer qualifizierter Anbieter kaum noch Nachfrage finden würden. Das könnte zu einer Polarisierung der Beschäftigungschancen führen, wobei von den Arbeitgebern einerseits Spezialtätigkeiten für hoch Qualifizierte und andererseits Hilfstätigkeiten für gering Qualifizierte angeboten würden. Ergebnis wäre eine »digitale Verteilung«, bei der Online-Arbeitskräfte hohe Einkommen und Offline-Arbeitskräfte niedrige Einkommen erzielen, während die Nachfrage nach mittleren Qualifikationen stark zurückgeht. Diese Argumentation widerspricht allerdings allen historischen Erfahrungen. Schon in den 80er-Jahren war beispielsweise prognostiziert worden, dass der Industrieroboter, die elektronisch gesteuerte Werkzeugmaschine oder das Textverarbeitungsprogramm zu einer Polarisierung der Nachfrage nach hoch qualifizierten Mikroelektronik-Experten einerseits und gering qualifizierten Hilfskräften andererseits führen würde, während der Facharbeiter vom Aussterben bedroht sei. Diese Prognose hat sich im Nachhinein eindeutig als falsch erwiesen. Im Zuge des wirtschaftlichen Strukturwandels ist es immer wieder zu einer generellen Erhöhung der Qualifikationsanforderungen der Arbeitsnachfrage gekommen und nicht zu einer Polarisierung. Es ist nicht zu erkennen, weshalb der Strukturwandel zur Neuen Ökonomie von diesem Grundmuster abweichen sollte. Wenn die Wachstumsdynamik in eine entsprechende Arbeitsmarktdynamik umgesetzt werden soll, führt allerdings an einer weiteren Steigerung der Qualifikation der Erwerbstätigen kein Weg vorbei. Anpassungsbedarf ergibt sich schließlich für die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Virtuelle Umsätze und virtuell erzieltes Einkommen lassen sich nur schwer besteuern, und die Finanzierung der Sozialpolitik aus lohnbezogenen Abgaben verliert ihre finanzielle Basis, wenn sich traditionelle Arbeitsverhältnisse und Entlohnungssysteme auflösen. Von daher kann erwartet werden, dass der Weg in die Neue Ökonomie von einer Zurückdrängung des Staates und einer Reform der kollektiven Sozialversicherungssysteme sowie von stärkerer Bedeutung der Eigeninitiative und -verantwortung geprägt sein wird.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Arbeit · Arbeitsmarkt · Collaborative Commerce · Dienstleistungsgesellschaft · Electronic Commerce · Industriegesellschaft · Informationsgesellschaft · Informations- und Kommunikationstechnik · Innovation · Multimedia · Telearbeit · Wissensgesellschaft
 
 
c. Shapiro u.H. Varian: Online zum Erfolg. Strategien für das Internet-Business (aus dem Amerikan., 1999);
 S. J. Liebowitz u. S. E. Margolis: Winners, Losers & Microsoft - Competition and Antitrust in High Technology (Oakland, Calif., 1999);
 H. Beck u. A. Prinz: Ökonomie des Internet. Eine Einführung (1999);
 
Understanding the Digital Economy, hg. v. E. Brynjolfsson u. B. Kahin (Cambridge, Mass., 2000);
 A. Zerdick u. a.: Die Internet-Ökonomie (32001);
 
E.-Commerce u. Wirtschaftspolitik, hg. v. J. B. Donges u. S. Mai (2001);
 P. Pagé: Electronic business und new economy (2001);
 H. Klodt: The Essence of the New Economy (Kiel 2001);
 A. Picot u. a.: Die grenzenlose Unternehmung. Information, Organisation u. Management; Lehrbuch zur Unternehmensführung im Informationszeitalter (42001);
 
Informationswirtschaft. Innovation für die neue Ökonomie, hg. v. W.-F. Riekert u. M. Michelson (2001);
 H. Klodt u. a.: Die N. E. - Erscheinungsformen, Ursachen u. Auswirkungen (2002).

Universal-Lexikon. 2012.

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